Pit Morell – The book of Humi

Ausstellungsdauer: 03. Januar bis 07. Februar 2021

 

Aufgrund des Lockdowns und der aktuellen Pandemielage ist zum geplanten Eröffnungsdatum keine Vernissage vorgesehen.

Die Ausstellung kann voraussichtlich nach der Aufhebung des Lockdowns und öffentlicher Bekanntgabe besucht werden.

 

Die geplanten Veranstaltungen, das Künstlergespräch mit Pit Morell und Albert Schindehütte sowie die Buchvorstellung „The book of Humi, Leben und Werk des Zeichners und Poeten Pit Morell“ mit Dr. Bernd Küster werden über die aktuelle Presse bekanntgegeben.

 

Leben und Werk des Zeichners und Lyrikers Jean Pierre Morell

Eine Würdigung aus Anlass seines 80. Geburtstages

Zu den herausragenden künstlerischen Kapazitäten in der Geschichte Worpswedes gehört der 1938 in Kassel geborene Zeichner und Lyriker Jean Pierre (Pit) Morell, der seit über einem halben Jahrhundert in dem Künstlerdorf lebt und arbeitet. Sein Werk ist in jeder Hinsicht ein Ausnahmephänomen. Es beruht auf einer großen erzählerischen und zeichnerischen Begabung und hat in dieser Konstellation ein Alleinstellungsmerkmal ausgeprägt, das sich in gewisser Weise dem Surrealismus zuordnen lässt, aber weitgehend eigenständig und beispiellos bleibt. Heute überragt dieses Werk als ein aus literarischen und zeichnerischen Ambitionen gleichermaßen entstandener Monolith die norddeutsche Kulturlandschaft und bedarf einer längst überfälligen Vorstellung, Bewertung und Würdigung. Die Publikation des Autors Bernd Küster soll dieses Defizit ausgleichen. Sie entsteht in einem sehr engen Dialog mit Pit Morell, beschreibt dessen Lebensgeschichte und besondere künstlerische Entwicklung, stellt die Orte seines Wirkens und die darauf bezogenen Werke vor und fügt das Gesamtoeuvre in einen kulturgeschichtlichen Kontext ein, der Worpswede besonders würdigt, aber auch darüber hinausweist.

Zugleich beinhaltet das Buch eine Dokumentation der letzten 50 Jahre Worpsweder Kunst, anhand historischer Fotografien und ergänzt um Stimmen und Beiträge von Zeitzeugen. Um die Eigenheit des Werkes von Morell zu erfassen, fotografiert der Worpsweder Rüdiger Lubricht gemeinsam mit dem Künstler an dessen wichtigsten Lebensstationen, die über das Biografische hinaus im literarischen oder zeichnerischen Werk verwandelt wiederauferstehen.

Die von der Gemeinde Worpswede herausgegebene, umfängliche Würdigung des Zeichners und Lyrikers Pit Morell steht als Begleitpublikation nachfolgenden Ausstellungen zur Verfügung, welche derzeit für Münster, Kassel, Worpswede und Kampen/Sylt geplant sind.

 

Biografie

Nach einer abgeschlossenen kaufmännischen Lehre nahm Pit Morell 1958 ein Grafikstudiums an der Werkkunstschule Kassel auf. Bereits nach sechs Monaten Abbruch des Studiums und Fahrt mit dem Rad nach Paris. 1959 und 1960 kaufmännische Tätigkeiten in München und Kassel. 1960 Übersiedlung nach Bremen, hier bis 1963 in der Werbeabteilung einer Kaffee-Großrösterei tätig. Beginn der lyrischen Arbeit. 1963 erste Ausstellung eigener Bilder in Berlin. Der erste Gedichtband „Tschikeung“ erscheint. 1964 Umzug nach Worpswede. Weiterentwicklung und Systematisierung der autodidaktischen Zeichen- und Radiertechniken, mit starker Affinität zum Literarischen. In den Folgejahren Erfindung, künstlerische Beschreibung, zeichnerische Kultivierung und imaginäre Besiedlung des Phantasielandes Humi.

1968 Einzelausstellung in der Kunsthalle Bremen, 1969 Verleihung des Niedersächsischen Staatspreises für bildende Kunst. 1971 Teilnahme an den Ausstellungen „Phantastischer Realismus“ im Kunstverein Hannover und „Reiche des Phantastischen“ in der Städtischen Galerie Recklinghausen. Im selben Jahr Stipendium der Aldegrever Gesellschaft Münster und Förderpreis des Bremer Bildungssenators. Veröffentlichung eines ersten Werkverzeichnisses der nach 1963 entstandenen Radierungen, 1973 gefolgt von einem zweiten Teil der zwischen 1971 und 1973 vorgelegten Radierarbeiten. Einzelausstellung im Kulturhistorischen Museum Osnabrück, 1974 im Städtischen Museum (Kunstverein) Göttingen. 1974 bis 1976 Reisen nach Irland, Wales, London und in die Bretagne. 1977/78 Studienaufenthalte im Reinhardswald und in der Bretagne.1977 Teilnahme an der documenta 6 in Kassel in der Sektion Handzeichnungen mit einer großformatigen Farbstiftzeichnung „Der Schäfer kommt“ (100 x 140 cm). 1979 Niedersächsisches Künstlerstipendium. 1982 Paris-Stipendium des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. 1986/87 Lehrauftrag für Illustration an der Hochschule der Künste Bremen. Japan-Reise auf Einladung des Goethe-Instituts in Tokio. 2009 Retrospektivausstellung zum 70. Geburtstag in der Großen Kunstschau Worpswede.

 

„The Book of Humi“

Morells Hauptwerk ist eine über Jahrzehnte gereifte phantastische Erzählfolge über ein Land Humi, das nicht als abstrakte Vision vorgestellt wird, als eine autonome Welt jenseits der wirklichen, sondern sich als ein aus biografischen Elementen, persönlichen Erlebnissen und poetischen Vorstellungen verdichteter Kontinent entwickelt. Auf ihm, der sich in steter Metamorphose befindet, erscheint alles Wirkliche verkleinert, auf ein menschliches Maß gebracht und poesievoll verzaubert, aber nicht frei von Widersprüchen und Abgründen. Humi ist eine poetische Gegenwelt, doch zutiefst mit der realen verbunden, aus der sie immer wieder neue Bausteine ihrer eigenen Natur bezieht. Reale Lebenssituationen des Urhebers gerinnen zu imaginären Schauspielen grafisch entwickelter Akteure, die nur auf dem Papier wirklich sind.

Die beiden geografischen Pole von Humi sind mit den Orten der nordhessischen Kindheit und dem Teufelsmoor bei Bremen festgeschrieben. Zwischen beiden wechselt der Künstler assoziativ, das Vergangene ist immer im Gegenwärtigen präsent, das Kindsein im Altern. Die weite Ebene des Moores inszeniert er als einen Bühnenraum, vor welchem die ins Abstrakte stilisierten Figuren einzeln oder in Gruppen agieren. Schlittschuhläufer vor der weiten überfrorenen Hammeniederung sind seit den 1960er Jahren Protagonisten dieses phantasievollen Figurentheaters. Doch, wie Harald Seiler 1975 bemerkt, „es geht nicht um Worpswede, sondern um Kunst. Nicht um Herkunft, sondern um gestaltende Phantasie“[i].

 In Morells Oeuvre verschmilzt ein naiv anmutender zeichnerischer Stil mit einer aufwendigen und literarisch ausgerichteten Erzählweise, die das Erlebte mit dem Fiktionalen, das Alltägliche mit dem Außergewöhnlichen verbindet. Durch Worpswede als Lebensmittelpunkt wird sein Werk zunehmend von landschaftlichen Elementen des Teufelsmoores durchsetzt, während das frühe Erleben von Natur und Welt in und um den nordhessischen Reinhardswald in einer märchenhaft verklärten Gestalt wiederkehrt. Beeinflusst haben seine zeichnerische Entwicklung Künstler wie Rudolf Schröder-Sonnenstern, der ihm die Koloristik des Farbstiftzeichnens vermittelte, und Horst Janssen mit seinen Kombinationen von handschriftlichem Wort und gezeichnetem Bild, die sich wechselseitig erklären. Bei Morell  führt das kleine assoziative Welttheater gelegentlich zu anderen künstlerischen Ausdrucksformen: einem phantastischen Realismus oder einem abstrakten und reinfarbigen Flächenstil – oder auch zur Pop Art, von der seine eigene Entwicklung an der Kasseler Werkkunstschule einst ausgegangen war. Solche stilistischen Näherungen verstehen sich als ein bewusstes Spiel mit Ausdrucksmöglichkeiten, und auch das gesucht Naive ist bei Morell immer gepaart mit einem agilen und erfindungsreichen Intellekt, der alle Grenzen zu überschreiten vermag. Im Grunde sind Humi und sein Schöpfer Nachfahren jenes romantischen Geistes, der die Dichtung und die Zeichnung als gleichwertige und kommunizierende Teile eines poetischen Ganzen zuließ, einst mit dem Begriff „romantische Universalpoesie“ belegt.  Von einer solchen erhobenen Warte des poetischen Intellekts aus ist Pit Morells Werk eine neuzeitliche, zutiefst phantasievolle, aber zugleich immer auch wirklichkeitsnahe Verwandlung des Lebens in Kunst.



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